KLASSIK
CDs
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NEUES
AUS
DER
M U S I K W E L T
T c h a ik o v s k y l'.ith é tiq u
Peter Tschaikowsky
SINFONIE NR. 6 U .A .
Lisa Batiashvili, Rotterdam
Philharmonie
Orchestra, Yannick Nézet-Séguin
DG/Universal CD
Igor
Strawinsky
LE SACRE DU
PRINTEMPS
The Philadelphia
Orchestra,
Y.Nézet-Séguin
DG CD
(
63
)
Der Schlüssel zu diesen beiden In-
terpretationen scheint darin zu lie-
gen, wie lange Yannick Nézet-Sé-
guin die Werke schon kennt bzw.
sie ihm nahe liegen. Im Beiheft-
text der Tschaikowsky-CD ist zu le-
sen, dass die „Pathétique“ den Di-
rigenten schon ein Leben lang be-
gleitet und er sie schon viele Male
aufgeführt hat. Dass sie somit ei-
nes von Nézet-Séguins Lieblings-
werken darstellt, merkt man auch
seinem Dirigat allenthalben an. Sei-
ne Lesart ist zumindest in den Eck-
sätzen von Überdruck und Empha-
se gekennzeichnet, vom breit be-
seelten Ausmusizieren. Das kann
man schon so machen - extreme
Emotion gehört schließlich zu den
Grundingredienzen der Sinfonie
- , muss man aber nicht: Jewgenij
Mrawinski, Günter Wand, aber auch
jüngst Thomas Dausgaard haben
gezeigt, dass es auch anders geht:
härter, kantiger, gnadenloser, we-
niger bekümmert um interpretato-
rische Traditionen.
Überraschungen finden sich bei
Nézet-Séguin vor allem in den Eck-
sätzen: So erhält der walzerarti-
ge zweite Satz, der sonst oft allzu
blassblau-verhuscht daherkommt,
deutliche rhythmische Konturen
und insgesamt mehr Lebensfreu-
de, was ihm gut zu Gesicht steht.
Den Marsch nehmen die Musiker in
einem durchweg sehr raschen Tem-
po, auf diese Weise bis zum letz-
ten Takt eine nervöse Gespanntheit
thematisierend, mit der vielleicht
nicht alles zu diesem emotional am-
bivalenten Satz gesagt ist, die aber
doch zu interessieren vermag. Ins-
gesamt bietet der Dirigent hier eine
ansprechende Deutung, die jedoch
den Bereich des Mainstream nicht
überschreitet. Auf den Zugaben ist
Nezet-Seguin als Pianist zu hören -
als Begleiter von Lisa Batiashvili in
für Violine und Klavier arrangierten
Liedern Tschaikowskys.
Bei Strawinskys „Sacre“ zeigt
sich ein anderes Bild: Erst 2009
begann Nezet-Seguin sich mit dem
Werk dirigentisch zu befassen. Mit
kühlem, von vorgefassten interpre-
tatorischen Meinungen offensicht-
lich freiem Kopf gelingt ihm in sei-
nem DG-Debüt mit dem Philadel-
phia Orchestra eine wahrlich spek-
takuläre Deutung: nicht brutal,
aber enorm körperlich und rhyth-
musbetont, federnd, tänzerisch und
cool, den Spagat vollziehend zwi-
schen atavistischem Ritus und aus-
geklügelter rhythmischer Konstruk-
tion. Damit dringt er tief in den kul-
tischen Kern des Werks vor. Wie Ne-
zet-Seguin das orchestrale Geflecht
röntgenologisch genau durchleuch-
tet und dabei neue Details zu Tage
fördert, nötigt höchsten Respekt ab
und könnte sogar noch mehr beein-
drucken, wäre das Klangbild etwas
durchhörbarer geraten (es neigt in
den tiefen Regionen ein wenig zum
Verklumpen). Auch den entspann-
ten Passagen der Partitur lässt der
Dirigent Gerechtigkeit widerfahren:
Die kreatürlich schimmernden Or-
chesterfarben zu Beginn des zwei-
ten Teils sind mustergültig einge-
fangen.
Nicht nur das hundertjährige Ju-
biläum des Werks ist es, das den Di-
rigenten zu dieser Einspielung ani-
mierte, sondern auch die spezielle
Historie, die das Orchester mit dem
„Sacre“ verbindet. Leopold Sto-
kowski, einstiger legendärer Chef-
dirigent der Philadelphians, sorg-
te für die amerikanische Erstauf-
führung der Partitur, die er 1929
auch für Schallplatte aufnahm. So
ist diese CD nicht zuletzt auch ei-
ne Hommage an Stokowski - wes-
wegen die Kopplung des „Sacre“
mit einigen Bach-Bearbeitungen
Stokowskis Sinn ergibt und auch
gleich für eine Ehrenrettung die-
ser noch immer viel geschmähten
Arrangements sorgt. Das Orches-
ter zeigt sowohl bei Strawinsky als
auch in Stokowskis ebenso opulen-
ten wie spektakulären Bach-Aneig-
nungen sein Weltniveau.
Thomas Schulz
MUSIK (TSCHAI)
KLANG (TSCHAI)
MUSIK (STRAW)
KLANG (STRAW)
*
BACH
f . \ r
f ü
»kUsi
Johann Sebastian Bach
__
SOLO-KANTATEN BWV 8 2 ,8 4 U .A .
Christine Schäfer, M
itglieder des RIAS-Kammercho-
res, Berliner Barock-Solisten
Sony CD________________________(
7 0
)
Die Musik Bachs ist quasi der Nuk-
leus des Repertoires der Sopranistin
Christine Schäfer. Immer wieder ist
sie mit Werken des Thomaskantors
in Erscheinung getreten. Die jüngste
Veröffentlichung dieser Art ist auch
für eine versierte, erfahrene Sän-
gerin eine echte Herausforderung.
Denn neben der Bewältigung von
Bachs anspruchsvollen Gesangs-
partien ist in den drei Kantaten der
neuen CD vor allem eine textexege-
tische Meisterleistung zu vollbrin-
gen. Einer Interpretin des 21. Jahr-
hunderts dürfte es gegenüber den
Bach-Zeitgenossen ein Vielfaches an
Einfühlungsvermögen abverlangen,
die, wie Alfred Dürr es nennt, „sehn-
süchtige Jenseitsmystik“ in BWV 82,
Wo
KLAVIERKONZERTE KV 467 & 595
Lars Vogt, Frankfurt Symphony Orchestra, P
. Järvi
CAvi-music/HM CD_________________(
5 8
)
Selbst wenn man diese Aufnahme
zwei- oder dreimal gehört hat, wirkt
sie immer noch frisch, unmittelbar,
lebendig. Lars Vogt, das Sinfonieor-
chester des HR und Paavo Järvi ha-
ben zwei Klavierkonzerte von Mo-
zart aufgenommen: das C-Dur-Kon-
zert KV 467 sowie das letzte der
Serie in B-Dur KV 595. Überall lau-
ern Überraschungen und kleine
Kostbarkeiten. Etwa wenn Vogt
auf kleinstem Raum subtile dyna-
mische Veränderungen vornimmt,
wenn er Triller nicht nur als bloße
Durchgangsstation nutzt, wenn er
launig die Läufe gestaltet, die glei-
chermaßen Grandezza und Sinn für
Rundung besitzen, oder wenn er
mit jeder harmonischen Wendung
neue Räume erschließt. Dieses Mo-
zart-Spiel hat nichts Abgebrühtes,
es kennt keine Routine und damit
die blut- und tränentriefende Meta-
phorik in BWV 199 oder die devo-
te Frömmigkeit in BWV 84 zu reali-
sieren. Christine Schäfer gelingt all
dies mühelos.
Sie erreicht eine enorme Aus-
drucksintensität, ohne die Grenzen
zur Sentimentalität auch nur zu strei-
fen. Die expressiven Qualitäten ih-
rer in allen Registern voluminösen,
intensiven und modulationsfähigen
Stimme stehen ganz im Dienst einer
mächtigen Musik. Zum überaus posi-
tiven Eindruck tragen auch die Musi-
ker der Berliner Barock-Solisten bei,
allen voran der Flötist Jacques Zoon
und der Oboist Jonathan Kelly, die in
den Arien die Dialogpartner der Sän-
gerin sind. Im historischen Gewand
knüpfen die Musiker des Ensemb-
les, allesamt Berliner Philharmoni-
ker, erfolgreich an die Zeiten an, als
ihr „Mutter-Orchester“ in der deut-
schen Barockmusik-Pflege noch ei-
ne tragende Rolle gespielt hat. Eine
wunderbar transparente Aufnahme
aus der legendären Dahlemer Je-
sus-Christus-Kirche rundet diese
Produktion ab.
Arnd Richter
MUSIK ★
KLANG
auch keine Kühle. Es ist farbig, dif-
ferenziert, mirakulös. Es kennt den
schlichten Ernst, aber auch offene
Heiterkeit.
Schon bei früheren Mozart-Er-
kundungen hat Vogt bewiesen,
dass er auf diesem heiklen Gebiet
eine von wenigen Führungsrollen
für sich beanspruchen kann. Die
Kunst allerdings besteht darin, dies
auch immer wieder neu zu bestä-
tigen. Im Kopfsatz des C-Dur-Kon-
zerts lässt er bei allem Leuchten,
bei aller Festigkeit, die schon durch
die Tonart vorgegeben ist, mehr-
fach eine traurige Melancholie
durchscheinen, in der Mini-Kadenz
des dritten Satzes fügt er Kontras-
te wie selbstverständlich zusam-
men, und im Finale des B-Dur-Kon-
zerts findet er zu einem volkslied-
haft-schlichten, und doch der ho-
hen Schule des Spielwitzes abge-
lauschten Vortragsstil, den das Or-
chester auf vorbildhaft dialogische,
kammermusikalische Weise unter-
stützt. Diese Aufnahme bewahrt all
ihren Charme nicht nur nach drei-
maligem Hören, sondern vermut-
lich noch nach Jahren.
Christoph Vratz
MUSIK ★
KLANG ★
140 STEREO 1/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht
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